Blieben bis Mittag noch am Nordkap und nutzten den teils sonnigen Vormittag für weitere Fotos. Anschließend machten wir uns auf die Suche nach einem nicht weit ernfernten Plätzchen um etwas Schlaf nachzuholen.

Bei der ersten Möglichkeit bogen wir rechts ab und fuhren bis kurz vor Gjesvaer, 10km (Luftlinie) südwestlich vom Nordkap. Fanden dort (dank park4night) wieder einen wirklich schönen Platz, wo wir auf einen Deutschen (etwa Mitte 40) trafen, der sich grad einen neuen Bulli gekauft hatte um sich damit eine einjährige Auszeit zu gönnen. Das Bedürfnis der Menschen aus dem „normalen“ Hamsterrad auszusteigen und nicht nur dem Arbeitsmarkt bis zur Pensionierung brav zu dienen, scheint deutlich zuzunehmen.
Wie seid ihr mit eurer momentanen Lebenssituation zufrieden?

Wir standen absolut idyllisch direkt beim glasklaren Wasser und blickten in eine wunderschöne Berglandschaft. Eine Robbe und mehrere Seeadler ließen sich blicken. Wir beobachteten sogar Möwen, welche einen Seeadler attackierten, um dessen Beute zu bekommen! In der Nacht begann es dann zu regnen und starker, böiger Wind rüttelte unser Gomo ziemlich durch. Mit „Ohrstöpsel“ störte uns das Heulen nicht und das Schaukeln empfand ich (die so gerne in Hängematten liegt) als durchaus angenehm.

Am Dienstag den 21. Juni ging es zu Mittag weiter Richtung Osten. Unser nächstes Ziel war Vardø, die östlichste Gemeinde Norwegens (liegt noch östlicher als Istanbul, Sankt Petersburg und Kairo), auf einer kleinen Insel gelegen. Zuerst ginngs die E69 retour bis Olderfjord, dann weiter auf der E6 bis Lakselv und von dort die wenig befahrene Fv98 entlang der Küste. Es begann zu regnen und wir hatten keine Lust weiterzufahren, also zweigten wir bei Pyssyjoki kurzentschlossen links ab und legten nach rd. 6km auf der Fv183 einen Stopp direkt am Meer ein (das ist so toll mit unserem Gomo). Richteten uns ruckzuck häuslich ein und gönnten uns nach einem netten Abendessen eine Mütze voll Schlaf. Der Mittwoch war wie angekündigt verregnet, ideal um in Ruhe etwas zu arbeiten sowie den Nordkap-Bericht zu verfassen, um diesen aus gegebenem Anlass beinahe tagesaktuell (noch vor zahlreichen anderen Berichten) auf unserer Homepage online zu stellen.


Da das Wetter rascher als erwartet wieder besser wurde starteten wir das Gomo noch zu abendlicher Stunde an und machten uns wieder auf den Weg. Das Abendlicht und die milde Mitternachtssonne waren wieder mal unglaublich und Didi blieb häufig für Fotos stehen. Ich verschlief einen Teil der Fahrt, denn wie schon erwähnt passt mein Rhythmus mit der permanenten Helligkeit (auch wenn mir dieses weiche Licht gefällt) nicht so gut zusammen. Didi war fast wie elektrisiert und schon fast etwas aufgedreht munter. Er genoss die milde und friedliche Stimmung, welche das Licht über die Landschaft warf und außerdem waren die Straßen um diese Zeit fast wie ausgestorben.

Über Ilfjord gelangten wir nach rd. 250km nach Ekkerøy. Ich glaube es war kurz nach zwei Uhr früh, als wir am Parkplatz in der Nähe des „Vogelfelsens“ ankamen.

Dieser Felsen ist ein Brutplatz für tausende von Möwen und über und über mit Nestern bedeckt. In der Gegend gibt auch noch einige weitere Vogelarten und ist daher ein beliebtes Vogelbeobachtungsgebiet. Auf seinem kurzen Spaziergang entlang der Küste der kleinen Halbinsel wurde Didi sogar ganz frech von ein paar kleinen rotschnabeligen Vögeln angegriffen. Er hat sie mit dem Handy abgewehrt und ist flotten Schrittes zurück zum Gomo.

Nach einem ausgiebigen Frühstück fuhren wir die Europastraße 75 (E75, welche auf der Insel Kreta beginnt) bis zu Ihrem Ende und erreichten knapp 50 Minuten später durch den ältesten norwegischen Meerestunnel die Stadt Vardø auf der Insel Vardøya an der Barentsee.

Bereits vor etwa 9.000 Jahren gab es hier schon eine Besiedelung und zu Beginn des 14. Jahrhunderts wurde die Festung Vardøhus angelegt, die man kostenlos besichtigen kann.

Unweit von der Festung gab es eine Gedenkstätte für verbrannte „Hexen“ im 17. Jahrhundert. Ich konnte es kaum glauben, dass dieser menschliche Wahnsinn auch hier am „Ende der Welt“ wütete. 77 Frauen und 14 Männer (vor allem Samis) wurden hier hingerichtet, nachdem sie ein „Gottesurteil“ (wenn sie sich gegen das Ertrinken wehrten und nicht wie ein Stein untergingen, war das eine Schuldeingeständnis) über sich ergehen lassen mussten, auf dem Scheiterhaufen verbrannt.  Nur aufgrund der Arroganz von Menschen, die glaubten über andere richten zu dürfen, weil sie anders (meist naturverbundener) waren oder anders lebten als damals üblich oder erwünscht.

Wenn die Mehrheit dachte, dass sie im Recht wäre und andere zu „Unmenschen“ erklärte, um diese ungestraft zu benachteiligen, zu beschimpfen und im schlimmsten Fall sogar hinzurichten, dann hatte es sich in der Geschichte meist immer als Unrecht herausgestellt.  Außer viel Leid, Schmerz und Tränen hat das noch nie etwas gebracht. Ja doch – volle Kassen bei einer kleinen Gruppe von Leuten – auf Kosten aller anderen. Das hat sich leider bis heute nicht geändert, wie wir die letzten zweieinhalb Jahre festgestellt haben…

Wenn man vom ernsten und tragischen Thema absieht, ist dieses Gebäude jedoch architektonisch faszinierend in Szene gesetzt worden. Es wurde nach den Plänen des Schweizer Architekten Peter Zumthor 2011 errichtet. Ein langes Gebäude, welches als eine Art bespanntes Holzgerippe aufgehängt ist. Alle hingerichteten Menschen werden namentlich und mit kurzem Lebenslauf gewürdigt. 91 kleine Lichtfenster und Lampen erhellen den eher dunklen Raum – für jeden einzelnen hingerichteten Menschen. Man durchschreitet diesen, gelangt am Ende wieder raus und steht dann vor einem gläsernen Kubus, der das Thema Feuer umsetzt. In der Mitte ein Stuhl, auf dem dauerhaft eine Flamme brennt, umgeben von riesigen Spiegeln. Eine gelungene Installation, die sehr berührt und von der Künstlerin Louise Bourgeois stammt.

Zu unserer Verblüffung gab es hier in Vardo auch ein Thai Restaurant. Im kleinen Abc-Thai ließen wir uns ein original Singha Thailand Bier (Prost an alle und vor allem an unsere „Thailand-Bande“) und natürlich auch das Essen schmecken. Es gibt hier wohl die umfangreichste Bierkauswahl weit und breit mit fast 200 !!! Bieren aus aller Welt. Unglaublich! Aber auch die Frage „Ist das Kunst“ bzw. „Wer legt fest was eigentlich Kunst ist“ kann man sich auch hier stellen bevor man in den Vardøtunnel fährt.

Simple Aussichts-/Grillplätze werden hier oft zu außergewöhnlichen Objekten und optischen „Leckerbissen“ inmitten der bizarren Landschaft aufgewertet und Schafe warten geduldig in der Haltestelle auf den nächsten Bus.

Freud (Essen und Reise) und Leid (aktueller und vergangener Tagen) liegen oft nah beisammen.

Nachdenkliche Grüße aus Vardø,

Sigi&Didi